Alle Jahre wieder nervt pünktlich mit einsetzender Adventzeit der Jingle von "Licht ins Dunkel". Mit der Fülle an Weihnachtsramsch in den Regalen allenorts wächst auch die Penetranz dieser achso wohlgesonnenen Geldfechterei (Anm. f. Nichtösterreicher_innen: "Fechten" steht ugs. auch als Synonym für Betteln). Aber der Zweck heiligt doch die Mittel???
Photocredits: ELG21
Mitnichten! Bin ich geneigt zu meinen.
Basales Verständnis für die (finanziellen) Nöte und Schwierigkeiten von Menschen mit körperlichen oder geistigen Handicaps vorausgesetzt und mit der gehörigen Empathie muss man natürlich Aktionen wie "Licht ins Dunkel" aufs Erste einmal gutheißen und sogar unterstützen.
Auf den zweiten Blick - und das ist jener, der nicht die Symptome sondern die Ursachen diagnostiziert - zeigt sich das grausliche Bild hinterm Vorhang der gelackten und glanzvoll inszenierten Galas, der PR-Maschinerie mit ihrem Merchandising und allgegenwärtiger Penetranz bis weit in den Frühling hinein.
Mit unfassbarem Aufwand werden behinderte Menschen vor Kameras und vors mitleidende Publikum gezerrt, wird auf die Tränendrüse gedrückt ohne sich dessen gewahr zu werden, wie schrecklich demütigend eigentlich diese Prostitution der Betroffenen coram publico sein muss. "Mei' so oame Leit, denen muss man ja helfen!", lautet die gewollte Reaktion mit Schielen aufs Geldbörsel des hilfsbereiten Volkes. Da gibt auch gern die Oma einen Zehner von der Mindestsicherung ab, da wird schnell ein Trinkgeld via SMS gespendet und da klimperts Cent für Cent, Euro für Euro in den Spendentöpfen.
Cui bono?
Nunja, zugegeben, die Summen bei Verkündigung der Spendenbilanz sind eindrucksvoll. Fast jedes Jahr sind neue Rekorde zu verzeichnen. Jedes einzelne der vorgestellten Projekte ist fördernswert und viele Tropfen auf noch viel mehr heißen Steinen benetzen die Not.
Die Sache hat aber einen gewaltigen Haken und die Aktion bringt weniger Licht ins Dunkel, als sie vielmehr eklatante Misstände zu vernebeln versucht. Eine funktionierende Gesellschaft, eine Solidargemeinschaft - ausgerichtet auch auf Schicksalsschläge, seltenste Krankheit und unfassbare Ausreißer iSv "kannst dir gar nicht vorstellen, wie das Leben übel mitspielen kann" - sollte und muss die Ressourcen aufbringen eben diese Schicksale abfedern zu können. Hilfe und Unterstützung zu leisten. Ohne Wenn und Aber, ohne lang fragen und betteln zu müssen. Was ist Sache? Wie kann geholfen werden?
Nicht Almosen und wohltätige Charities sind angesagt. Anspruch statt ersuchen müssen. Die Nöte sind zu lindern, die Probleme zu lösen (das Schicksal kann man leider ohnedies nicht wenden). Koste es was es wolle. Und nicht: wie groß wird das Stück aus dem Spendenkuchen?
Nicht alles, was gut gemeint ist, muss auch edler Absicht sein. Allzuleicht vergisst man ob der schillernden Mitwirkung der vielen wichtigen (und unwichtigeren) Gönner_innen und Honoratior_innen deren Eigennutz und befriedigte Eitelkeit. Da sonnen sich vom Bundespräsidenten abwärts Minister_innen und Landesfürst_innen im Scheinwerferlicht. Da bekommen Konzernchefs und knallharte Stakeholder geschenkte (eigen)Werbeminuten statt teuer erkaufter Reklamesekunden. Und da wandert leicht eine erkleckliche Summe oder die zehnte - nicht benötigte - Rolex übern Tresen der telegenen Auktionsbank. Alles für den eindringlich vermittelten und dramatisch inszenierten Zweck. Dass die locker herausgeschüttelten zehntausend Euro eines Großspenders im Verhältnis zum mühsam abgesparten Zehner von der Oma Peanuts sind, hinterfragt ja niemand. Die edle Spende ist noch dazu steuermindernd. Keine Frage wird gestellt, ob überhaupt schon gerecht Steuern anfielen, beim Erwerb des Luxus, von dem man gönnerisch ein paar Brosamen abwirft.
Statt Gage gibt's Heiligenschein
Da zieht der ORF eine perfide Doppelmühle für Künstler_innen auf: die einerseits - ob des guten Zwecks - andererseits auch nicht uneigennützig ob der Publicity mit Verzicht auf ihre Gage ihr Scherflein beitragen. Der Multiplikatoreffekt der kostenlosen Künstlergigs hilft wiederum dem Sender. So spart man Gage, so bekommt man gratis was Rang und Namen hat auf die Bühne! Toll getarnt, weil ja nur gut gemeint.
Da gerieren sich die geizigsten Steuervermeider im Outfit des guten Onkels, der milden Tante. Da wird für den guten Zweck um die Wette der teuerste Schampus vor den Seitenblicken gesoffen. Ein Land in dem Hochzeiten und Taufen fremder Adelsgeschlechter mehr Quote einfahren als ernsthafte Dokus über die Brennpunkte weltweiter Miseren und Menschenschicksale dankts mit Schenkelklopfen und einer kleinen Spende.
Da zieren sich die Werbeträger von Großkonzeren - vom Einkaufssackerl bis zum Feuerzeug - mit dem LiD-Logo. Mit ein paar Cent vom Verkaufserlös kauft man sich von Verpflichtung frei, wirbt ungeniert mit seiner Generosität und für die eigenen Produkte obendrein.
In früherend Jahrhunderten kauften sich Potentaten und Feudalherren die Gunst von Volk und Kirche mit billigen Almosen. Dem Volke dreist gestohlen sollte es doch die Knochen des Hühnchens vor die Beine geworfen bekommen.
Spenden ist billiger als Steuern zahlen
Eine Debatte um eine vernünftige Vermögenssteuer, gar Spekulationsabgaben und dergleichen mehr wird entrüstet abgeschmettert. Das Gesundheitswesen kaputtgespart und Pflegekräfte wie Tagelöhner abgespeist. Bei aller Xenophobie in Politik und breiten Bevölkerungsschichten wird auch ausgeblendet, dass ohne ausländisches Pflegepersonal (zu Tarifen nicht unweit von den bedauerlichen Ernthelfer_innen) der ganze Karren sowieso an die Wand krachen würde. Kafkaeske Vorschriften und Formalien verhindern rasche Förderflüsse, wo es denn ansatzweise objektive Töpfe abzugreifen gäbe.
Aber das lässt sich ja zumindest rund um die Weihnachtszeit trefflich kaschieren, um ein paar Tage Licht ins Dunkel zu bringen. Dass für die Betroffenen das ganze Jahr dichter Nebel der Ausgrenzung und Behinderung über jenen als behindert Determinierten liegt, macht die Aktion leicht vergessen.
Um fehlende Rechtsansprüche und Chancengleichheit zu vernebeln glänzt das Licht im Dunkel der beschämenden Almosenverteilung.
Epilog
Keinesfalls will ich mit meinen kritischen Überlegungen jemanden vom Spenden abhalten und bin auch über jeden Cent froh, der den Betroffenen nur ansatzweise helfen kann. Dennoch bin - nicht nur ich, sondern immer wieder auch Behindertenverbände und -vertreter_innen - zutiefst überzeugt, dass es bei weitem gerechtere und effizientere Ansätze zur konkreten Hilfe in widrigen Lebensumständen geben könnte und sollte! (Gerhard Weinmüller, Nov. 2021)
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