Rund um die Corona-Pandemie, zahlreiche Verschwörungsmythen und die Frage, wie man sich im Diskurs mit sogenannten Skeptiker_innen verhalten solle, gewinnt eine grundlegende Betrachtung auf das Wesen und Unwesen der DUMMHEIT an Brisanz.
Neben Einsteins Relativitästheorie halte ich „Die fünf Gesetze der Dummheit“ von Carlo M. Cipolla 1) für die stringenteste und mWn unwiderlegte Theorie mit weitreichendster Bedeutung für unsere Spezies und in Concreto für die menschliche Gesellschaft.
Cipolla beschreibt in seinem – durchaus auch satirisch gemeinten – Werk 2) die fünf fundamentalen Gesetze bzw. Prinzipien der Dummheit:
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Stets und unvermeidlich wird die Zahl der im Umlauf befindlichen dummen Individuen unterschätzt.
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Die Wahrscheinlichkeit, dass eine bestimmte Person dumm ist, besteht unabhängig von jeder anderen Eigenschaft dieser Person. Demzufolge gibt es einen stets gleich hohen Anteil an Dummen in allen gesellschaftlichen Gruppen, sowohl bei Hausmeistern wie bei Universitätsprofessoren.
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Ein dummer Mensch ist jemand, der einer anderen Person oder einer Gruppe von Personen Schaden zufügt, ohne selber dabei Gewinn zu erzielen und dabei u.U. sogar zusätzlichen Verlust macht (das sogenannte „goldene Prinzip“).
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Menschen, die nicht dumm sind, unterschätzen stets das Gefährlichkeitspotenzial dummer Menschen. Vor allem vergessen Menschen, die nicht dumm sind, ständig, dass Verhandlungen und/oder Verbindungen mit dummen Personen zu jedem Zeitpunkt, an jedem Ort und in jedem Fall sich unweigerlich als teurer Irrtum herausstellen werden.
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Eine dumme Person ist der gefährlichste Typ aller Personen.
Seine Conclusio: Die Dummheit richtet mehr Schaden an als Verbrechen. Denn gegen Verbrecher kann man sich schützen, aber der Dumme handelt vollkommen irrational und unvorhersehbar, und gegen das Unvorhersehbare gibt es keinen Schutz.
Fassen wir nochmals kurz zusammen:
Mit seinem ersten Absatz intendiert Cipolla, dass es mehr „Depperte“ gibt, als man glauben möchte.
Im zweiten Punkt warnt er indirekt auch zur Vorsicht bei allzu leichter Gläubigkeit vor Hierarchien und akademischen Titeln. Sozusagen: „Depperte gibt’s überall und auch in (vermeintlich) höchsten Kreisen“.
Idioten schaden sich zwar nicht zwingend selber, aber sie beschädigen und verhindern das Fortkommen; eine Weiterentwicklung der Menscheit eminent. Bedeutung gewinnt der dritte und fünfte Punkt in diesem Zusammenhang auch im Zitat: „Schreibe nicht der Böswilligkeit zu, was durch Dummheit hinreichend erklärbar ist“ (als „Hanlons Rasiermesser“)
Der Umgang mit „Dummen“ (zum Zeitpunkt der Verfassung dieses Beitrages insbesonders fokussiert auf „Corona-Leugner“, Impfskeptiker und Protagonisten von Verschwörungsmythen) zeigt sich insbesonders in Krisensituationen als verhängnisvoll. Nimmt man auch die handelnden – besser gesagt: NICHT-handelnden Politiker – in seine Überlegungen auf (siehe Punkt 2) verquickt sich auf fatale Weise die Lähmung von nötigen Entscheidungsprozessen und stringentem Handeln.
Das Gefahrenpotenzial
Wie „deppert“ (und gefährlich) sich Dummheit niederschlagen kann sieht man deutlich in Attacken vorn Verschwörungsmythikern (Sturm aufs Kapitol, Jänner 2021), im „Pizzagate“ 4) oder vielen anderen Auswüchsen. Von dumm sein bis zur radikaler Umsetzung von Dummheit ist es oft nur ein kleiner Schritt.
Dummheit wird von ebenfalls dummen Politikern nicht als solche bezeichnet oder anerkannt, sondern maximal als Einzelfall oder das Werk von einzelnen Psychopathen dargestellt.
Dummheit ist nicht zwingend mit mangelnder Intelligenz zu vergleichen. In den meisten Fällen aber mit haarsträubender Unwissenheit und Ignoranz gegen (Wissens-)erkenntnis. Wider besseren Wissens, bestätigter Theorien oder gar Axiomen etwas anders erklären und darzustellen (man denke an die „Flacherdler“), das in Neudeutsch sogar noch als „alternative Fakten“ zu verkleiden (die Formulierung ist schon in sich abstrus, da ein Faktum keine Gegenteil haben kann, maximal eine Behauptung eine Gegenbehauptung) ist schlichtweg eben dumm zu nennen!
Diskursfähigkeit? Fehlanzeige!
Fehlangebrachte Toleranz gegen Dummheit ist kein Zeichen von besonderer Diskurs- oder Demokratiefähigkeit, sondern ein Türöffner für die Gefährdung des nicht dummen Teiles der Gesellschaft. Das als Killerargument von Dummen vorgebrachte „aber man wird doch noch sagen dürfen“ tarnt sich bewusst in einer Ausnutzung hoher Toleranzschwellen; impliziert aber auch, dass dieses „sagen dürfen“ konsequenterweise mit der gleichen Erlaubnis und Selbstverständlichkeit ins Handeln und Aktivwerden münden kann. Wer antisemitische Verschwörungsmythen wider jedes bessere Wissen verbreitet, seine Ergüsse daraus lautstark im Diskurs als legitim – „man wird doch noch“ – darstellt, dem fehlt es auch nicht an perspektivischer Konsequenz, dies ins Tun umzusetzen. Es beginnt mit „man wird sich doch noch wehren dürfen“ über so gemeinte prophylaktische Handlungen (man wir sich doch noch dagegen vorbereiten können) und endet in der konkreten Umsetzung, der Gewalttat, dem Verbrechen. Der Terminus „antisemitisch“ ist natürlich x-beliebig austauschbar, allerdings verweisen die allermeisten dummen Mythen in irgendeiner Form doch wieder auf den einen oder anderen antisemitischen Ursprung. Man möchte beinahe sagen: konsequent „gepflegte“ Dummheit über Jahrhunderte…
Die Anerkennung von Dummheit als – auch - legitime Meinungsäußerung, das Verständnis für Dummheit, als würde sie keinen Schaden anrichten können – da ja nur schlichtweg „dumm“ – ist brandgefährlich und uU menschheitsgefährdend, denkt man nur an Leugner des Klimawandels.
Die beschönigende Haltung und fehlangebrachte Harmoniebedürftigkeit mit dem Geschwurble um Angst vor Spaltung, Auseinanderdividieren, Ausgrenzen udglm. Klingt aufs erste aufgeschlossen, tolerant und versöhnlich. Auf den zweiten Blick jedoch fatal, da nicht die „Nicht-Versteher_innen“ der Alternativfaktler die Gesellschaft spalten, sondern eben jene Dummen, die gegen besseres Wissen ihre Dummheit umgesetzt sehen wollen, koste es was es wolle.
In vielen Fällen der Dummheit ist verachtendes Verhalten (gegen Mensch, Tier, Umwelt, Demokratie, Wissenschaft uvm.) immanent und latent. Es muss also einen Cordon sanitaire geben, der die Dummheit in ihre Grenzen weist und nicht zulässt, dass der von Cipolla im letzten Punkt genannte „gefährlichste“ Typus die Oberhand gewinnt.
1) Carlo M. Cipolla (eigentlich Carlo Cipolla, auch Carlo Maria oder Carlo Manlio Cipola[1]) (* 15. August 1922 in Pavia; † 5. September 2000 ebenda) war ein italienischer Wirtschaftshistoriker und Schriftsteller.
2) “Allegro ma non troppo”. Zuerst nur als Privatdruck für Freunde, dann 1988 bei Il Mulino in Bologna erschienen
3) Die genaue Entstehung des Zitats ist ungewiss. Eine Vermutung besagt, dass Robert J. Hanlon eine reale Person war und ihm dieses Sprichwort zugeschrieben werden kann. Nach dieser Theorie kam das Sprichwort als Zuschrift von Hanlon in das 1980 erschienene Buch Murphy’s Law Book Two. More Reasons Why Things Go Wrong.
Die andere gängige Erklärung schreibt das Sprichwort dem Science-Fiction-Autor Robert A. Heinlein zu; die Schreibweise „Robert Hanlon“, verballhornt oder falsch geschrieben könnte auf seine Kurzgeschichte Logic of Empire bzw. deutsch Auktion auf der Venus von 1941 deuten, in der Heinlein schreibt:
“You have attributed conditions to villainy that simply result from stupidity.”
„Sie haben Gegebenheiten auf Schurkerei zurückgeführt, die lediglich auf Dummheit beruhen.“
4) Am 4. Dezember 2016 drang ein mit Sturmgewehr bewaffneter Mann in die Pizzeria „Comet Ping Pong“ in Washington D.C. ein, um angeblich dort festgehaltene und missbrauchte Kinder im Keller zu befreien. Er gab zwei Schüsse auf ein Türschloss und einen Computer ab. Nachdem er nichts gefunden und festgestellt hatte, dass es keinen Keller gibt, ließ er sich widerstandslos festnehmen. Verletzt wurde zum Glück niemand. Der Schütze wurde am 22. Juni 2017 zu vier Jahren Gefängnis und einem Schadenersatz von 5.744 US$ an die Pizzeria verurteilt.
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