Photographie -
Eine Annäherung
Kann man über Photographie philosophieren?
Muss man nicht - aber man darf und sollte vielleicht.
Ich betrachte die Lichtbildnerei - vielleicht die beste Beschreibung des griechischen Wortes für das "Malen mit Licht" als eine der Kunstformen, wie die Musik, Malerei, Literatur oder darstellende Kunst. Als eine der universellsten Klammern all dieser Künste zusammen sehe ich den Film.
Im Film findet sich wirklich jede Disziplin der "alten" Künste wieder. Das Drehbuch, die Filmmusik, die gekonnte Kameraführung, der perfekte Cut. Und alles mit Story und Dramaturgie - vergleichbar dem Wow-Effekt eines Opernbesuchs vor 200 Jahren.
Der Film
Der Film ist die jüngste Kunstform. In dieser Analogie wirkt die Photographie heute wie die kleinere Schwester. Vergessen wir die Chronologie der technischen Entwicklung. Natürlich war das Bild zuerst da und ist eigentlich die Urgroßmutter. Man denke nur an Höhlenmalereien von vor zehntausenden Jahren.
Die Literatur
Und noch viel früher trat deren Vorgängerin, die Literatur auf den Plan. Das Geschichtenerzählen am Lagerfeuer, die mündliche Überlieferung von Wahrem und Erfundenem, die Bildung von Märchen, Mythen und Legenden.
Die Höhlenmalerei dokumentierte das Erzählte, schmückte es mit Ocker, Umbra und Kohle aus. Symbolisierte und erhöhte die tradierten Gespräche am Feuer. Nach dem Verstummen der letzten Erzähler_innen gibt sie uns noch Jahrtausende später die alten Geschichten wieder. Wie im modernen Photo sind auch hier teilweise Dynamik und Dramatik angedeutet. Die Jagdszene - statisch auf Fels geklatscht - wirkt dennoch bewegt und beflügelt unsere Phantasie. Im modernen Photo wird der Flug des Vogels, der Crash des Autos oder der Schrei von Traumatisierten eingefroren. Ein Bild am Print, aber ein ganzer Film im Hirn der Betrachter_in.
Die Story
Neben der guten Story und gekonnter Kamera- und Schnitttechnik macht die Musik einen Gutteil eines Films aus. Mein größter Respekt vor den Stummfilmschaffenden aus der Anfangszeit! Sie mussten ob des fehlenden Soundtracks und der Geräuscheffekte noch fokussierter die Bildwirkung herausarbeiten. Der fehlende Ton in der Photographie ist mMn auch eine Herausforderung an ein gutes Bild. Die Gesamtwirkung kann nur durch eine gute Story entstehen. Der Ton, die Umgebungs- und Hintergrundgeräusche müssen durch die Bildwirkung im Kopf des/der Betrachter_in erst imaginiert werden. Ein gutes Landschaftsphoto lässt einem das Brüllen der Brandung an den Klippen hören, das Gezwitscher der Vögel in Licht und Schatten von Waldbäumen, die Parolen und den Lärm bei einer Demo oder die erdrückende Stille eines Porträts im Altersheim...
Fotos knipst man - Bilder erzählen Storys
Die Literatur - also vereinfachter gesagt, die Geschichte oder das Geschichtchen - zu einem Photo ist noch einen Tick schwieriger zu vermitteln. Hinterlässt oder wirft das Bild Fragen auf? Regt es zum Nachdenken und Weiterspinnen an? Erklärt es mit einem Blick die gesamte Sachlage, fasst sprichwörtlich alles zusammen? Kann ein Bild mehr als tausend Worte sagen? Ja natürlich, wenn es denn ein gutes Bild ist. In diesem Fall wird das Photo auch erst zum Bild. Das Photo ist ein Schnappschuss, ein kurzes Einfangen des Gesehenen. Die Verschmelzung, die Metamorphose zwischen Photo, gutem Photo und letztlich eindrucksvollem Bild liefert einzig die Story dahinter und dazu. Nicht das Photo von etwas (etwa das Abbilden eines Hauses), sondern das Bild über etwas (also die Geschichte dieses Hauses, das Leben des/der Porträtierten...) bringt so ein Lichtbild - wie ich es schmunzelnd nenne - näher an das, was wir gemeinhin unter Kunst verstehen. Oder weniger pathetisch: unterscheidet Photographie von Knipsen.
Wird bei Bedarf - wobei ich mir schon jetzt sicher bin - ergänzt und fortgesetzt...
Mein kleiner Photoblog
Photographie
ist für mich...
...wie eine Zeitmaschine
Mit einem Klick hältst du ein Stück Geschichte fest.
Unvergänglich (naja, wenn die Datei nicht untergeht oder der Print nicht zerfällt ;-)).
Die Entropie des Universums schreitet voran, das Chaos nimmt zu - kein Atom, kein Photon wie zuvor. Nur das Bild hält den Moment fest.
Alle Erinnerungen, Emotionen, Geschichten werden wieder wach. Informationen, Geschehenes und Gesehenes, Passiertes wie auch Unausgesprochenes...alles festgehalten in einem kurzen Moment, verewigt und eingefroren.
Nicht wandel- und veränderbar wie in unseren Erinnerungen, die ständig wie Klippen vom Meer abgenagt und neu geformt werden.
Das ist der Zauber eines Fotos!
...Dokumentation oder Kunstwerk
Der Druck auf den Auslöser als Screenshot des Lebens oder Erlebten, ein Dokument, was war. Wann es war, mitunter wie es war.
In Pixel (oder Chemie) geformtes Zeugnis eines sprichwörtlichen Augen-Blicks. Wenn nicht verfälscht dann auch nicht verklärend. Mit Bestand vor der Geschichte, ein kleiner, kurzer Einblick in dein Leben, deine Umwelt.
Zum Kunstwerk wird das Foto aber erst, wenn daraus ein Bild entsteht. Bild und Foto sind nicht das Gleiche.
Ohne ein gutes Foto kann kein Bild entstehen. Aber erst die Story, eine gute Perspektive, die richtige Technik und mitunter Nachbearbeitung machen aus einem Foto ein Bild.
Ein Foto ist das Abbild VON etwas. Eine fotografisches Dokument. Ein Bild ist die Geschichte, der Eindruck, das Gefühlt ÜBER etwas. Am Weg vom Foto zum Bild versucht man sich der Kunst anzunähern.
...Technik, aber auch soo viel mehr
Seine Ausrüstung zu beherrschen, Physik und Optik zu verstehen ist die eine Sache. Wichtig, aber oft überbewertet. Viele Profis meinen, dass zu guten Fotos und Bildern das Equipment nur zehn Prozent beiträgt. Würde dem nicht so sein, müsste man mit dem Fortschritt der Technik regelmäßig alle Aufnahmen - älter, als fünf, zehn Jahre - in die Tonne kippen.
Lächerlich die laienhafte Erklärung dieses und jenes Foto müsste mit einer Kamera der Marke XY oder einem Glas der Firma Soundso entstanden sein.
Natürlich spielen Auflösung, korrekte Belichtung, getroffener Fokus, der gut gewählte Ausschnitt und allerlei Schnickschnack herum eine (kleine) Rolle. Aber das Gerät wird überbewertet - wie der Pinsel nicht das Gemälde schafft, so verwandelt auch nicht die beste Kamera den Schnappschuss zum erinnernswerten Bild.
...die Lehrmeisterin für Achtsamkeit
Photographie schärft den Blick. Zum einen auf das Wesentliche, das Essenzielle an dem, was du siehst und allem was herum ist.
Sie lehrt dich auf Licht, Licht und nochmals Licht zu achten. In seinem Einfall und Winkel, seiner Intensität, seiner Farbtemperatur, Härte und Weichheit.
Sie lehrt dich Farben zu sehen, deren Wirkung und Zusammenspiel, deren Gegenteilen und Harmonien.
Sie lässt dich Formen wahrnehmen und erkennen, Zusammenhängendes und Unzusammenhängendes unterscheiden. Lässt dich mit Größen und Perspektiven spielen, Unbeachtetes hervortreten und Überbewertetes minimieren.
Die Suche nach einem gutes Foto ist eine tägliche Schule für einen tiefen Blick aufs Leben und IN das Leben.
Photographie trägt für mich etwas metaphysisches, meditatives und philosophisches in sich. Es bedient meinen (technischen) Spieltrieb und fördert nicht nur die visuellen Sinne.