Was ich bisher so erlebt hab'   ;)

Kreuz und quer aus der Wühlkiste meiner Erinnerungen.

...Das Krankenhaus war damals auch nicht das Neueste. Zwar nicht mehr mittelalterlich, aber doch sehr gestrig. Vorgestrig sogar, wie ich in späteren Kindesjahren anlässlich einer Tonsillektomie dort schmerzhaft erfahren musste.

Egal. Mein Debüt auf diesem Planeten ist gut ausgegangen und die vielen nächsten Jahre sollte ich im - wirtschaftlich und sowieso - zurückgebliebenen Pregarten aufwachsen.

Im Rahmen einer durchaus glücklichen, wenngleich materiell gar nicht gesegneten Familie durchlebte ich eine geborgene Kindheit. Dass hint' und vorne überall die Kohle fehlte, fiel mir nicht auf. Logisch: die verheizten wir in unserem kleinen Ofen. Mein Vater - Eisenbahner von Beruf - bezog ein Deputat an Kohle und Brickets. Die ÖBB verfügte über so viel davon, dass sie nicht nur die schweren 52er Dampfloks auf der Summerauer-Bahn damit fütterte, sondern gelegentlich auch welche zum günstigen Preis abgab.

Die Dampflokomotiven mit ihrer nachgezogenen Kette an dunkelgrünen Plattformwaggons sind mir noch lebhaft schnaubend, rauchend, stinkig in Erinnerung. Auch die harten Holzbänke der 3. Klasse. Nicht die der Volksschule. Die waren auch hart, aber die Bahn bediente damals noch wirklich drei Fahrklassen. Oder genauer gesagt, man selektierte je nach Fahrpreis die Belastbarkeit der Ärsche. Hart und unbequem gegen wenig Schilling fürs Pappkartonbillet in der Holzklasse, wie die 3. auch genannt wurde. Knarzend im Winter und klebrig im Sommer auf den grünen Skyledersitzen der 2. Klasse (da hatte das Kartonbillet eine andere Farbe) und künstlich plüschig - aber meist durchgewetzt - in der ersten Klasse. Waggons dieser Preiskategorie verirrten sich aber ohnedies nie auf unsere Nebenbahnstrecke...

Diese Bahnstrecke führte uns, führte mich, von jüngsten Tagen an in die größere, weitere Welt. Die hieß damals Linz und lag fünfzig Bahnminuten oder 36 Schienenkilometer entfernt. Vorher waren da aber noch die eineinhalb Kilometer Fußstrecke von Daheim zum Pregartner Bahnhof zu überwinden. Zugegeben, die ersten Monate meines Lebens wurde ich auf dieser Strecke im Kinderwagen - ein schickes, schnittiges Cabrio im 60er Style - geschoben. Aber schon relativ rasch - so einer Kinderwagen war ja unpraktisch in die Plattformwagons zu heben - musste ich diesen Hatscher mit meinen kleinen Beinchen bewältigen. Und das oft! Wenn ich so zurückdenke, dann hab ich die meisten Gehkilometer meines Lebens auf dieser Strecke, Bahnhof bis Tragweiner Straße, gesammelt. Als Kind und bis ins Erwachsenenalter, wenn ich zur Bahn musste und kein Moped hatte oder gar eins der ersten Autos streikte.

Ich kann mich bis heute noch an jedes Haus und sein Aussehen erinnern, das an dieser Wegstrecke stand. Jeden Gartenzaun, jeden Anstrich der Holzjalousien. Noch genauer an die Gewächse direkt neben der Bahnstrecke. Am letzten Stück zwischen dem hohen Eisenbahnviadukt über die Feldaist und dem Bahnhofsgebäude. Königskerzen, Disteln und andere Blumen, die mit der Trockenheit gut klarkamen, wuchsen da gern. Vermutlich war es dieses Mikroklima, die brütende Hitze im Sommer neben den brauen Schottersteinen des Gleisbetts und dem staubigen Feinkies des Fußweges. Und da war - kurz vor der Brücke - auch noch dieses Haus...ich vermute es war eine Art Bahnwärterhaus zu Beginn der Summerauerbahn. Bewohnt von einem älteren Ehepaar, sie etwas dicklich aber immer gemütlich blickend, er stets in eine graue Kluft gekleidet. Der Fußweg trennt deren Haus direkt neben den Gleisen von einem Ensemble an kleinen Stadeln und Scheunen, die sich an den steil abfallenden Hang des Aisttals schmiegten. Dort betreute der grau-gekluftete Mann (ich glaub Trauner hieß das Ehepaar) seine Kaninchen und die vielen Tauben, die er dort in Verschlägen hielt. Er züchtete wohl auch niedliche Zwerghühner. Ich kann mich gut an die kleinen Hähne erinnern, die wie mit Steigeisen an den Beinen diesen Steilhang zur Aist bevölkerten und ständig die Böschung umgruben.

Die Brücke selbst war mit immer etwas unheimlich. Vielleicht zeichnete sich damals schon meine spätere Akrophobie ab. Jedenfalls war es auch ein mulmiges Gefühl, wenn eine der schweren 52er Dampfloks neben einem auf der Brücke einen Zug vorbeizog. Die dicken Holzbohlen des Fußweges vibrierten dabei, in den Ritzen dazwischen konnte man gut 30 Meter (mir kamen es immer wie 50 Meter vor) nach unten auf die goldbraune Aist sehen. Das alles sind so Erinnerungsbilder als würde ich sie mit einer Kamera gleich einem Schnappschuss eingefangen haben. Nur kommt dazu auch noch der Geruch, die Hitze, das Flirren der Luft oder das Gefühl der beißenden Kälte, wenn man im Winter die zugige Brücke passierte.

Legendär in Erinnerung an diesen Treppelpfad sind mir noch die Heimwege, wenn wir von Linz kommend, die schwer und prallgepackten Einkaufstaschen vom Hofer heimschleppten. Einmal im Monat war das ein Ritual, um etwas Geld fürs Haushaltsbudget zu sparen. Am Schillerplatz, direkt unter oder neben dem ehemaligen Kolosseum-Kino, befand sich damals die weit und breit einzige Filiale dieses Diskonters. Damals noch in ihrer puristischen Form. Also mit Holzpaletten voller Waren auf gelbgefliesten Hallen. Mit knatternden und klobigen Registrierkassen, die die Verkäuferinnen im Blindflug und Windeseile bedienten. Erdbeer- und Zitronenwafferl, Nachbau von Mannerschnitten, Eigenmarke „Bella“, wanderten da in den Einkaufssack und auch in einen rotweiß oder irgendwie gemusterten Einkaufstrolley. Alles nur haltbare Sachen. Gekühlte oder rasch verderbliche Lebensmittel gab es damals noch nicht beim Hofer. Auch keine Aktionsware die heute halbe Kleidungs- oder Baumarktfilialen ersetzen möchte.
Soweit ich mich noch erinnern kann, gingen die Rechnungen für diese Großeinkäufe durchaus in die hunderten Schillinge. Aber - so hieß es – das war noch immer um ein Hauseck billiger, als würde man es im damals einzigen Supermarkt in Pregarten gekauft haben.

Dieser Supermarkt war eine ADEG-Filiale. Situiert im Kaufhaus Luftensteiner und auch von den Besitzern gleichen Namens betrieben. Gut...durch ein Einheiraten in die Luftensteinersche Dynastie hieß die Betreiberfamilie dann eigentlich Kucik oder so, aber der Sprachgebrauch verlangte unmissverständlich nach einem Luftensteiner. Oder Lufti, wie es gern verkürzt verwendet wurde.

Dieses Geschäft war für damalige Verhältnisse relativ groß. Deshalb wurde es auch als erstes Selbstbedienungsgeschäft in Pregarten geführt. Rechts führte der Gang durch die Lebensmittelabteilung um an deren Kopfende an der Wurst- und Feinkosttheke zu enden. Dort bemühten sich meist drei Damen um die „zehn Deka gemischten Aufschnitt“, fragten obligatorisch „ob’s a bisserl mehr sein darf?“ und schälten die dicken Würste (an extragroße Braunschweiger mit gefühlt 15 Zentimeter Durchmesser erinnere ich mich dunkel), um sie für die nächste Beschneidung durch die silbrige Wurstmaschine zwischenzulagern. Der Gang führte – nunmehr in Gegenrichtung – retour um nach einer Rechtsbiegung bei einer der beiden Registrierkassen anzukommen. Auch das war für damalige Verhältnisse sensationell in Pregarten! Gleich zwei Kassen in einem Lebensmittelgeschäft! Üblicherweise war zwar immer nur eine besetzt, aber an manchen Samstagvormittagen (Einkaufen ging nur bis zwölf Uhr) und an Weihnachten sowieso, kam da schon manchmal etwas Gedränge auf und selbst hinter der zweiten Kasse staute sich die Schlange zurück bis zum Kaffeeregal.

Ein anderes, und viel beschaulicheres Bild bot die gegenüberliegende Kasse bzw. der große Warentisch der Non-Food-Abteilung. Beim Lufti gab’s ja nicht nur den Aufschnitt, die Milch und den Jakobs-Kaffee, nein, es gab auch noch Kleidung und Stoffe. Arbeitsschürzen, wenig erotische Unterwäsche, Kordhosen und Vorhangstoffe, eine Bettfedernreinigung im Anschluss ans Geschäft und sogar eine kleine Spielwarenabteilung! An dieser Kassa werkte meist der „alte Fritz“. Man hieß in damals schon alt, obwohl er (zum Zeitpunkt dieser Zeilen, also im Sommer 2023) mittlerweile schon älter als uralt sein musste. Dieser besagte Fritz (den Nachnamen weiß ich nicht mehr) war irgendwie ein Faktotum. Ein Geschäftsbestandteil. Ein lebendiges Inventar vom Lufti. Stets mit einem Bleistift hinters Ohr geklemmt, schwelgte er durch die Stoffabteilung mit großen Bahnen desselben und einer mächtigen Schneiderschere. Am glasgedeckten Warentisch setzte er sein speckiges Holzlineal an, zog eine Linie mit der Schneiderkreide und trennte den Stoff wunschgemäß für die Käuferinnen, die sich daheim wahrscheinlich eine Schürze schneiderten. Ich hab ihn später – und da musste er schon Jahrzehnte in Pension gewesen sein – noch immer in Pregarten spazieren gesehen. Zwar ohne seinen Bleistift hinterm Ohr, aber noch immer so unscheinbar und bescheiden, wie eben nur ein schlechtbezahlter Angestellter eines klassischen Warenkontors erscheinen musste.

Das war also der Lufti...Zumindest einmal die Woche hatschte meine Mutter – mich meist an der Hand weisend – in dieses Geschäft um den mittelgroßen Wochenkauf zu tätigen. Vorm Lufti stand ebenfalls seit Ewigkeit eins dieser Automatenhutschpferderl. Gegen einen Schilling bescherte einem das kleine Pferdchen auf einem roten Blechkasten eine Schaukelei die gefühlt immer zu kurz dauerte, in Wahrheit aber vermutlich um die zwei Minuten Glückseligkeit für Kinder bedeutete. Eigentlich wollte ich immer – also jedes mal Lufti-Gehen – auf diesem Pferdchen reiten. Aber unser Budget erlaubte dieses Schilling-Vergnügen weniger oft, als ich es mir erträumt hatte.

Gegenüber vom Lufti befand sich früher mal ein Wirtshaus. Superklein und durch die Hauptverkehrsstraße an den Rand gepickt, dass man eine Gastwirtschaft dort heute gar nicht mehr vermuten möchte. Sogar ein winziger Gastgarten schmiegte sich an die Steinwand des darüber drohnenden Meisel-Hauses. Von dort stammte auch die Geschäftsleiterin des Lebensmittelgeschäftes Luftensteiner. Die „Koller-Nandl“. Marianne hieß sie vermutlich. Ich hab sie noch als sehr strenge und eigentlich immer grantelnde Matrone im Geschäft in Erinnerung. Sie musste damals – schätze ich – Mitte Dreißig bis Anfang Vierzig gewesen sein und leitete diesen ADEG-Ableger mit seinem halben Dutzend Verkäuferinnen. Später – genau weiß ich es nimmer, aber ich vermute nach Ende des Lebensmittelhandels – erkrankte sie dann schwer und starb mit Sicherheit viel zu jung noch an Krebs.

 

wird fortgesetzt, wenn ich Lust, Laune, Zeit und Einfälle hab